Kann man kreatives Schreiben lernen?
Jemand, der ungewöhnliche Häuser und andere Bauwerke gestalten will, studiert Architektur. Wer später mit Bildern und Gemälden sein Geld verdienen möchte, studiert Kunst. Und wer schon als Kind scheinbar ohne große Anstrengung anspruchsvollste Musikstücke auf dem Klavier zum Besten geben kann, wird vielleicht eine Musikhochschule besuchen.
Doch wenn du davon träumst, Schriftsteller:in zu werden oder wenigstens das erzählende Schreiben zu lernen, bist du im Land der Dichter und Denker ziemlich auf dich allein gestellt.
Inhalt
Schreiben ist Handwerk
In der Schule beschränkt sich das kreative Erzählen auf Aufsätze zu Themen wie „Wie ich meine Sommerferien verbracht habe“. Später werden im Deutschunterricht dann Gedichte und Dramen interpretiert.
Selbst zu dichten oder Geschichten zu erzählen, steht nicht mehr auf dem Lehrplan. An der Uni geht es genauso weiter. Germanistik zu studieren bedeutet, dass du dich mit Literatur beschäftigst, aber nicht, dass du eigene Literatur hervorbringst.
Diese Haltung hängt mit dem Genie-Begriff des Sturm und Drang zusammen. Demnach wird man kein Dichter. Ein Dichter ist man, oder eben nicht.
Doch wenn du dich mit den Techniken des kreativen Schreibens befasst, wirst du schnell merken, dass Genialität nur bedingt eine Rolle spielt.
Der Lyriker Wolfgang Weyrauch beschrieb das Schreiben einmal als eine Symbiose aus Handwerk und Geheimnis.
Vielleicht hätte er aber ergänzen sollen, dass das Geheimnis höchstens zehn Prozent ausmacht, während die restlichen 90 Prozent Handwerk sind. Und Handwerk lässt sich lernen.
Ein Schreibkurs als Basis
In den USA ist schon länger bekannt, dass in kreativem und erzählendem Schreiben viel erlernbares Handwerk steckt. Ein Grund mag sein, dass die literarische Geschichte dort weit weniger von genialen Dichtern und Denkern geprägt ist als hierzulande.
Ein anderer Grund könnte der Philosoph John Dewey sein. Er predigte den Amerikaner:innen zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, dass die Sprachentwicklung zur Persönlichkeitsbildung dazugehört.
Dewey drückte es so aus: „Der höchste Sinn der Alphabetisierung liegt in der Fähigkeit, eine eigene sprachliche Identität zu entwickeln.“
Aus dieser Haltung heraus entstanden in den USA ab den 1930er-Jahren zahlreiche Ausbildungsstätten für kreatives Schreiben. Heute ist Creative Writing ein Fach, das an jeder Schule und Universität angeboten wird.
Und tatsächlich gibt es zahlreiche US-amerikanische Bestsellerautor:innen, die den Grundstein für ihre schriftstellerische Karriere durch einen Schreibkurs legten.
Schreibwerkstätten lehren
Auch in Deutschland scheint es allmählich anzukommen, dass man eben doch nicht als begnadete/r Autor:in geboren wird. Das akademische Angebot ist zwar noch immer sehr überschaubar. Nur eine Handvoll Unis bieten Studienfächer im Bereich des kreativen Schreibens an.
Doch dafür stehen jede Menge nichtakademische Kurse und Workshops zur Auswahl. Sie nennen sich oft ganz bodenständig Schreibwerkstätten und bringen die Idee damit auf den Punkt.
Denn kreativ-geniale Gedanken für einen gelungenen Roman lassen sich nicht lehren. Die handwerklichen Fähigkeiten, die es braucht, um die eigenen Ideen schreibend umzusetzen, hingegen schon.
Schreibspiele für Kreativität
Möchtest du einen Pullover stricken, musst du dir zunächst das notwendige Material besorgen, dir die Techniken aneignen und dich auch etwas mit Mathematik auseinandersetzen.
Nach diesem Prinzip setzen die Schreibwerkstätten ganz am Anfang an, indem sie den angehenden Schriftsteller:innen erst einmal die berühmte Angst vor dem weißen Blatt nehmen. Ein probates Mittel dabei sind Schreibspiele.
Skeptiker:innen mag die Vorstellung, Literatur als Spiel zu betrachten, sauer aufstoßen. In Wahrheit geht es bei den Schreibspielen aber in erster Linie darum, sich der Entfaltung der eigenen Kreativität spielerisch zu nähern.
Und für Neulinge, die auf einen theoretischen Kurs eingestellt waren, kann das durchaus zur Herausforderung werden.
So ein kreatives Schreibspiel kann zum Beispiel in der Aufgabe bestehen, Wörter zu finden, die mit den Buchstaben des eigenen Vornamens beginnen, und innerhalb einer halben Stunde aus diesen Wörtern eine Geschichte zu entwickeln.
Diese Geschichte wird vermutlich kein literarisches Meisterwerk werden. Aber das macht nichts.
Denn es geht darum, die Erfahrung zu machen, dass du aus einer mehr oder weniger zufälligen Ansammlung von Bruchstücken eine stimmige Geschichte mit Anfang, Spannungsbogen und Ende machen kannst.
Genau aus diesem Grund kann ein Kurs zum kreativen Schreiben so hilfreich sein. Ausdrucksvermögen, Stilsicherheit und ein Gespür für Dramaturgie trainierst du nämlich vor allem dadurch, dass du schreibst und deine Ergebnisse der Kritik unterziehst.
Kreative Techniken
Das Clustering und das Free-Writing sind weitere Methoden, um die Kreativität in Gang zu bringen. Beim Clustering schreibst du irgendein Wort in die Mitte eines leeren Blattes und malst einen Kreis darum herum.
Anschließend schreibst du alle Begriffe und Ideen, die dir spontan zum Ausgangswort in den Sinn kommen, auf.
Diese Wörter umrundest du ebenfalls mit jeweils eigenen Kreisen und verbindest diese Kreise dann durch Linien zu Assoziationsketten. Ist dein Cluster fertig, notierst du den ersten Satz, der dir dazu einfällt. Dieser Satz ist die Basis für deine Geschichte und du webst nach und nach alle Wörter deines Clusters dort ein.
Das Free-Writing hingegen zielt darauf ab, dich dem Thema zu nähern und überhaupt Begriffe dazu zu finden. Dafür schreibst du fünf Minuten lang einfach alles auf, was dir durch den Kopf geht.
Die Begriffe müssen keinen Sinn ergeben oder irgendeinen Zusammenhang haben. Die einzige Regel lautet, dass du die ganze Zeit über im Schreibprozess bleiben musst. Beim Free-Writing geht es nämlich nicht um das Ergebnis, sondern einzig darum, tatsächlich zu schreiben und so deine Schreibstimme zu finden.
Sich selbst lesen
Du siehst, es ist durchaus möglich, das kreative Schreiben zu lernen. Oder, genauer formuliert, kannst du die Techniken lernen, die dir dabei helfen, deine Schreibstimme zu entwickeln und deine Ideen in Geschichten zu erzählen.
Ob du damit in die Fußstapfen der großen Literaten treten wirst, sei dahingestellt. Aber selbst wenn deine Werke keinen reißenden Absatz finden, kannst du es immer noch mit Max Frisch halten. Die Frage, warum er schreibe, beantwortete er nämlich so: „Schreiben heißt, sich selber lesen.“
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