Nur Floskeln und Phrasen: Lohnt es sich, schon am Wahlabend zu berichten?
Während die ganze Welt gespannt nach Amerika schaut und über den Ausgang der Präsidentschaftswahl im November spricht, rückt fast ein wenig in den Hintergrund, dass im September 2024 auch Thüringen, Sachsen und Brandenburg neue Landesparlamente gewählt haben. Rund um solche Wahlen gibt es regelmäßig viel zu besprechen. Vor allem die Wahlergebnisse sollten eingeordnet werden. Doch am Wahlabend weichen die Politiker:innen den Fragen der Journalist:innen gerne aus und belassen es bei Floskeln.
Aber warum ist das so? Und lohnt es sich angesichts der vielen Floskeln und Phrasen überhaupt, schon am Wahlabend zu berichten?
Inhalt
Nur Phrasen am Wahlabend
Wer wird das Land künftig reagieren? Wie haben sich die einzelnen Parteien geschlagen? Wie reagieren die Parteien auf die Ergebnisse der anderen? Solche Fragen liefern den Stoff für ausführliche Analysen und Diskussionen.
Wenn die Wahlberechtigten ihre Stimmen abgegeben und die Wahllokale geschlossen haben, steht der Wahlabend an. Dann erfahren sowohl die Politiker:innen als auch die Wähler:innen die offiziellen Ergebnisse.
Außerdem haben die Politiker:innen nun die Gelegenheit, ihren Erfolg oder Misserfolg zu kommentieren. Doch am Wahlabend ist die Berichterstattung wenig aussagekräftig.
Statt die Ergebnisse ansatzweise oder sogar tiefergehend zu erklären, belassen es Politiker:innen zu diesem Zeitpunkt meist bei Phrasen wie „Wir müssen erst einmal in die Analyse gehen“.
Ein Grund dafür ist, dass die politische Kommunikation in hohem Maße Ritualen und festen Mustern folgt. Das wird auch an einem Wahlabend deutlich. Wenn die Wahllokale um 18 Uhr geschlossen haben und die ersten Prognosen und Hochrechnungen vorliegen, beginnt eine Phase mit hoher Unsicherheit.
Wegen dieser Unsicherheit behelfen sich Politiker:innen und politische Berichterstatter:innen mit Floskeln und Phrasen.
Strategische Formulierungen
Die Ausweichstrategie nutzen Politiker:innen im Prinzip unabhängig davon, ob das Wahlergebnis für ihre Partei erfreulich oder enttäuschend ausgefallen ist. Dahinter stehen die üblichen Kommunikationsmuster, um auch den journalistischen Regeln gerecht zu werden.
Stellen Journalist:innen Fragen, müssen Politiker:innen darauf reagieren. Durch Phrasen können Politiker:innen strategisch geschickt eine Antwort geben, ohne sich festlegen zu müssen.
Vor allem bei der Bitte um eine Einordnung der Ergebnisse weichen Politiker:innen einer konkreten Aussage gerne aus. Denn für eine gute Einschätzung ist es einfach noch zu früh. Schließlich steht der Wahlabend am Ende eines Wahlkampfes, der sich über Wochen erstreckt hat.
Ob die geplante Strategie aufgegangen ist, erfahren die Politiker oft selbst erst jetzt. Diese Erkenntnis muss sich dann zunächst setzen.
Hinzu kommt, dass sich die meisten Politiker:innen erst nach dem Wahlabend detaillierter mit den Wahlergebnissen beschäftigen. Eine kritische Analyse der Erfolge und Rückschläge lässt sich nicht innerhalb weniger Minuten durchführen.
Vor allem bei überraschenden Ergebnissen ist es außerdem einfacher, die Fehler in der Wahlstrategie im kleinen Kreis und fernab der Öffentlichkeit zu suchen, als in Anwesenheit von kritischen Presseleuten.
Ein anderer Aspekt ist, dass die Interviews oft viel zu kurz sind, um ausführlich zu erklären. In der Wahlberichterstattung ist der Rahmen für tiefe Analysen gar nicht gegeben.
Messungen zeigen, dass die ersten Interviews und Statements nach den Hochrechnungen im Schnitt 20 bis 40 Sekunden lang dauern.
Dieses Zeitfenster genügt, um sich bei den Wähler:innen und der Partei zu bedanken und auf die nun folgende Analyse hinzuweisen. Viel mehr lässt sich in den wenigen Sekunden aber kaum unterbringen.
Gefährliche Aussagen
Jenseits aller Phrasen und Floskeln gibt es ein paar ungeschriebene Regeln, die die meisten Politiker:innen in ihrer Kommunikation einhalten. So sind zum Beispiel Schuldzuweisungen ein Tabu.
Schließlich würde das nicht nur die eigene Wahlstrategie, sondern auch die Inhalte, für die sich die Politiker:innen im Wahlkampf eingesetzt haben, infrage stellen. Den politischen Gegner niederzumachen, ist ebenfalls unangemessen.
Vor allem verbitten sich aber Schuldzuweisungen in Richtung der Wähler:innen. Trotzdem fallen regelmäßig Sätze wie „Das hätten wir den Wähler:innen besser erklären müssen“ oder „Unsere Botschaft ist bei den Wähler:innen nicht richtig angekommen“.
Solche Aussagen sind deshalb gefährlich, weil sie schnell belehrend und überheblich rüberkommen.
Außerdem schwingt darin die Haltung mit, dass die eigene Position nicht kritisch hinterfragt, sondern beibehalten werden soll. Dadurch sind andere, neue politische Lösungen aber vom Tisch.
Einordnen der Ergebnisse
Wenn die Abläufe am Wahlabend ohnehin vorhersehbar sind, wozu dann eigentlich die stundenlange Berichterstattung? Wieso ziehen sich die Politiker:innen nicht einfach zurück und geben erst nach den Sondierungsgesprächen bekannt, welche Koalition mit welchen Personen regieren wird?
Tatsächlich wäre das auch der falsche Weg. Denn eine Wahl ist ein soziales Ereignis, das sehr viele Menschen betrifft. Deshalb ist es wichtig, die Entwicklungen zu interpretieren. Letztlich ist es wie bei einem Fußballspiel.
Wenn es drei zu null für eine Mannschaft steht, wollen wir nicht nur wissen, dass die eine Mannschaft führt, sondern auch, wie es zu diesem Spielstand kam. Auch bei Wahlen wollen die Ergebnisse und ihre Hintergründe eingeordnet werden.
Und wenn die Politiker:innen am Wahlabend wenig zur Aufklärung beisteuern, dann müssen eben Journalist:innen und andere Akteur:innen diese Aufgabe übernehmen.
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