Was ist therapeutisches Schreiben?
Es ist überall möglich, geht zügig, entfaltet schnell seine Wirkung, kostet nichts und kann zur Grundlage für die mentale Gesundheit werden: Kreatives oder therapeutisches Schreiben kann dabei helfen, an die Teile des eigenen Unterbewusstseins zu kommen, die sich sonst nur schwer benennen oder darstellen lassen. Das Schreiben kann der Einstieg in einen Prozess sein, der heilsam ist und uns dabei hilft, uns selbst besser kennenzulernen.
In der Psychotherapie und in der Selbsthilfe wird das therapeutische Schreiben deshalb schon lange angewendet.
Aber was genau ist therapeutisches Schreiben und für wen eignet es sich?:
Inhalt
Ein möglicher Weg aus der Krise
Sich alles von der Seele zu schreiben, klingt zunächst plakativ und einfach. Es kann aber auch bedeuten, dass wir auf schmerzhafte Punkte treffen. Jeder von uns hat Seiten, die wir als unvorteilhaft empfinden, über die wir ungern sprechen oder die uns stören oder sogar belasten.
Vor diesem Hintergrund eignet sich das therapeutische Schreiben für alle, die sich mehr Klarheit oder neue Impulse wünschen.
Aber auch Personen, die zum Beispiel in einer Midlife-Krise stecken, mit einer Krankheitsdiagnose umgehen müssen oder um einen geliebten Menschen trauern, können auf diese Weise vielleicht einen Weg aus der Krise finden.
Voraussetzung ist immer, dass das Schreiben zu einem selbst passt. Der Schreiber muss Spaß daran haben, mit Sprache zu arbeiten und sich auszudrücken. Außerdem sollte er keine Schwierigkeiten damit haben, von Hand zu schreiben. Dabei geht es nicht um Rechtschreibung oder Grammatik, sondern um den Schreibvorgang selbst.
Bei dieser Form des Schreibens handelt es sich um einen therapeutischen Prozess, der eine gute Begleitung braucht. Patient:innen mit schwerwiegenden körperlichen oder psychischen Erkrankungen oder in sehr belastenden Lebenssituationen benötigen parallel psychotherapeutische Unterstützung.
Doch gerade in solchen Fällen kann das therapeutische Schreiben ein sehr hilfreiches Werkzeug im Rahmen der Gesamttherapie sein.
Von Hand schreiben
Um mit dem therapeutischen Schreiben zu beginnen, braucht es letztlich nur ein Stück Papier und einen Stift. Tatsächlich empfehlen Experten, mit der Hand zu schreiben. Denn in aller Regel schreiben wir langsamer und bewusster als beim Tippen.
Außerdem sind wir bei handschriftlichen Aufzeichnungen weniger versucht, einen stimmigen Text zu produzieren oder Korrekturen vorzunehmen. Dadurch kommen wir eher in einen Fluss und das Unterbewusstsein kann besser arbeiten.
Warum das Ganze überhaupt so gut funktioniert, konnte die Wissenschaft trotz zahlreicher Studien bislang nicht ganz klären. Die Ursprünge gehen jedenfalls auf das expressive Schreiben zurück, das der US-amerikanische Psychologieprofessor James W. Pennebaker etabliert hat.
In seiner Arbeit mit Student:innen fand er heraus, dass es entlastet, über traumatische Erlebnisse zu schreiben.
Zusätzlich dazu beobachtete er eine Stärkung des Immunsystems, weil wir durch das Schreiben ruhiger, entspannter und optimistischer werden.
Kritischen Punkt überwinden
Zunächst lenkt das Schreiben ab. Es ist eine Handlung, die wir verinnerlicht haben. Während das Gehirn mit dem Schreiben beschäftigt ist, können wir ins Unbewusste einsteigen.
Im Wachzustand funktioniert unser Gehirn ähnlich wie beim Träumen. Es aktiviert ähnliche Areale und erzeugt Bilder.
Allein durch unsere Vorstellung können wir verschiedenste Dinge trainieren. Was vielleicht etwas esoterisch klingt, ist zum Beispiel im Sport gang und gäbe. Viele Leistungssportler:innen stellen sich zum Beispiel einen Lauf oder einen Sprung immer wieder bis ins kleinste Detail vor.
Auch beim Schreiben lassen wir aktiv Bilder entstehen und können auf diese Weise unser Leben gestalten.
Um diesen kreativen Weg nach innen zu finden, gibt es mehrere Ansätze. Eine Möglichkeit ist das sogenannte Free Writing, also das freie Schreiben. Dabei fangen wir mit einem beliebigen Gedanken an und schreiben alles auf, was uns dazu einfällt.
Das können einzelne Sätze oder ein ganzer Text sein. Genauso können wir einen Brief schreiben, den wir niemals abschicken und den niemand lesen wird.
So einen Brief können wir an uns selbst schreiben, an die Erkrankung, an einen Verstorbenen oder an einen Menschen, an den wir gerade denken.
Eine andere Möglichkeit ist das Brainstorming. Sind wir zum Beispiel gerade frustriert, schreiben wir das Wort „Frust“ mittig auf das Blatt Papier und notieren drumherum alle Begriffe, die uns dazu in den Sinn kommen.
Wichtig dabei ist, möglichst nicht großartig nachzudenken, nicht zu zensieren und keine Bewertungen vorzunehmen.
Außerdem sollten wir uns genug Zeit lassen, mindestens zehn Minuten sollten es sein. Denn für einen Effekt müssen wir den Punkt überwinden, an dem wir das Gefühl haben, es ist alles gesagt und mehr fällt uns jetzt nicht mehr ein. An diesem Punkt sind die meisten nach ungefähr fünf Minuten.
Dann meldet sich die innere Stimme, die kritisch nachfragt, wozu das Ganze gut sein soll, und dazu mahnt, besser aufzuhören, bevor Unangenehmes ans Licht kommt.
Genau an dieser Stelle gilt es, die Hand in Bewegung zu halten und die weiteren Gedanken zu notieren oder zur Überbrückung schlimmstenfalls einfach Linien zu zeichnen.
Hilfreiche Rituale
Wer sich mit dem freien Schreien schwertut, profitiert vielleicht von mehr Struktur oder Vorgaben. Ein Therapeut kann Aufgaben nennen oder Impulse geben. Wir können uns aber auch selbst Fragen stellen.
Wie geht es mir gerade? Was fühle ich? Wie war mein Tag bis jetzt? Was hat mich geärgert? Worüber habe ich mich gefreut? Was würde ich tun, wenn mich jemand unangemeldet besuchen kommt?
Das sind Beispiele für mögliche Fragen. Geht es dann beim Schreiben plötzlich in eine ganz andere Richtung, ist das völlig in Ordnung. Es gilt, sich einfach treiben zu lassen.
Experten raten außerdem dazu, das Schreiben als Routine zu etablieren. Dazu können wir uns beispielsweise jeden Morgen oder jeden Abend zehn Minuten Zeit nehmen oder uns zum Ziel setzen, täglich eine Seite zu füllen.
Anfangs fällt einem vielleicht nicht direkt etwas ein. Doch je öfter wir schreiben, desto leichter wird es, den Einstieg zu finden.
Ein anderer Ansatz besteht darin, für das therapeutische Schreiben einen Rahmen zu schaffen, in dem Zuwendung an uns selbst im Vordergrund steht. Bei der Gestaltung dieses Rahmens helfen Rituale.
Dazu kann gehören, sich zu einer bestimmten Zeit an einen ruhigen Ort zurückzuziehen, das Handy auszuschalten, eine Kerze anzuzünden oder sich eine Tasse Tee zu kochen.
Möglich ist alles, was zu einer schönen Atmosphäre beiträgt. Allein der Umstand, sich in diesen ruhigen und geschützten Raum zurückziehen zu können, der einem ganz allein gehört, kann schon viel in uns auslösen.
Der vielleicht wichtigste Punkt beim therapeutischen Schreiben ist aber, dass es nicht um Selbstoptimierung geht. Das Ziel ist vielmehr, sich selbst besser zu verstehen und dieses Verständnis dafür zu nutzen, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und umzusetzen.
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